Gründung von ersten sozialdemokratischen Wahl- oder Ortsvereinen mit Beginn der Weimarer Republik

Nach dem Ende des Kaiserreiches und der Ausrufung der (Weimarer)Republik im November 1918 sowie der am 14. August 1919 in Kraft getretenen ersten demokratischen Reichsverfassung änderten sich jedoch auch auf der Landes- und vor allem Gemeindeebene die politischen Verhältnisse zu Gunsten der SPD und ihrer sie wählenden Arbeiterbevölkerung. Das Dreiklassenwahlsystem war weggefallen, jeder erwachsene Bürger war wahlberechtigt und die Frauen hatten jetzt auch volles Stimmrecht, was zu mehr als einer Verdoppelung der Stimmberechtigten führte. Darüber hinaus war bei den Wahlen zu den Parlamenten jetzt die Aufstellung von Wahllisten gefordert, was eine entsprechende Organisation vor Ort zur Folge hatte. Dementsprechend gab es erste Versammlungen von Sozialdemokraten in den drei Arbeiterdörfern; für Holzerode ist eine solche schon für den 07. Januar 1919 mit dem Redner May, einem Redakteur der schon 1917 gegründeten sozialdemokratischen Lokalzeitung „Göttinger Volksblatt“ nachweisbar. Diese Aktivitäten zu den schon vor der Verabschiedung der Weimarer Verfassung anstehenden Wahlen zur Nationalversammlung und zur Preußischen Landesversammlung jeweils im Januar sowie der ersten Gemeinderatswahl im März 1919 führte in den drei Gemeinden des Altkreises Göttingen Ebergötzen, Waake und Holzerode umgehend auch zu Gründungen von ersten sog. „Sozialdemokratische Wahlvereinen“ (der Name der SPD-Ortsvereine in dieser Zeit), für Holzerode ist dies für den 01. Juli 1919 nachweisbar, wohl zuerst im Gebiet von Radolfshausen. Sehr schnell sind dann auch die „Genossen“ in Ebergötzen und Waake sowie in einer Reihe anderer Orte unserer Region diesem Beispiel gefolgt. Im Sommer 1921 sind jedenfalls schon fast 20 SPD-Wahlvereine im Altkreis Göttingen offiziell registriert und auch sehr aktiv, wie aus einem längeren Bericht des „Göttinger Volksblattes“ vom 09. Juli 1921 über ein großes Fest der Sozialdemokraten mit „mehreren Tausend Menschen“ auf dem über Holzerode ‚thronenden’ Hünstollen zu entnehmen ist (siehe den vollen Text des Berichtes im Anhang).

Hünstollen
eine ‚Wiege‘ der organisierten Sozialdemokratie in unserer Region: der Hünstollen über Holzerode mit seiner Wirtshütte und dem Aussichtsturm

Zusätzlich entstanden hier in dieser Zeit auch Anschlussorganisationen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung wie z.B. in Holzerode der „Arbeiter-Turn- und Sportverein “ von 1921 bzw. der „Arbeitergesangverein Waldesgrün“ (1925) sowie ein örtliches Gewerkschaftskartell, in Ebergötzen eine Gruppe der „Arbeiterwohlfahrt“ (eine Selbsthilfeorganisation für sozial Schwache), eine Ackerbaugenossenschaft „Solidarität“ (1925) und der „Arbeitersportverein Ebergötzen“ (1930). In Waake gab es einen Arbeiter-Radfahrverein „Frischauf“ sowie auch eine Gruppe des „Reichsbanner“, einem demokratischen Kampfbündnis zum Schutze der Republik gegen revanchistische Kräfte von Rechts. Auch in Holzerode und Ebergötzen bildeten sich solche Gruppierungen im Laufe der 1920er Jahre heraus.


In den vier weiteren zum Altkreis Göttingen gehörenden Orten der späteren Samtgemeinde Radolfshausen, nämlich Landolfshausen, Mackenrode, Falkenhagen und Potzwenden, waren aufgrund ihrer stark bäuerlichen Ausrichtung noch lange keine sozialdemokratischen Aktivitäten und dementsprechend auch keine nennenswerten positiven Wahlergebnisse für die SPD zu erreichen. Das gleiche gilt für die drei verbleibenden, bis 1973 zum Altkreis Duderstadt gehörenden Orten des Eichsfeldes Seulingen, Seeburg und Bernshausen. Aufgrund ihrer starken katholischen Prägung war hier bis zur Gründung des SPD-Ortsvereins Radolfshausen 1972/73 überhaupt keine sozialdemokratische Mobilisierung der Bevölkerung zu verzeichnen.


Bei den ersten Kommunalwahlen im Frühjahr 1919 gab es in den „Gemeindeausschüssen“ bis auf Waake jedoch noch keine sozialdemokratischen Mehrheiten, was z.B. in Holzerode jedoch auch dadurch bedingt war, dass die Frauen ihr erstmaliges nicht nur aktives, sondern auch passives Wahlrecht sogleich sehr offensiv wahrnahmen und mit einer – im Landkreis damals wohl erstmaligen und auch einmaligen – eigenen Frauenliste antraten – nicht zuletzt auch als Protest gegen die bisherige ‚Männerdominanz’ und deren Verantwortlichkeit für das Leid der Frauen an der ‚Heimatfront‘ des 1. Weltkrieges; aus Holzerode mit seinen damalig ca. 500 Einwohnern fielen an der Kriegsfront 40 (!) Soldaten und hinterließen ihre Familien und die zumeist noch sehr jungen Kriegerwitwen mit ihren zahlreichen Kindern in großer Notlage. Mit den Kriegerwitwen Minna Gleitze und Auguste Recke (der „Roten Recke“) wurden dann auch sogleich zwei von ihnen in den Gemeindeausschuss gewählt. Den größten Wählerzuspruch hatte die SPD in den Jahren der Weimarer Republik in Waake, wo in dieser Zeit kontinuierlich weit über 60 und mehr Prozent bei Reichtags-, Landtags- und Gemeindewahlen erreicht wurden. Dementsprechend wurde landläufig dann auch von den „roten Waakern“ gesprochen. Auch in Ebergötzen konnte die Liste der SPD sogleich 50% der Stimmen erzielen und stellte mit dem Sattlermeister Fritz Fraatz auch den ersten Bürgermeister für die Sozialdemokraten in unserem Raum, und zwar über weitere zwei Wahlen hinweg für 10 Jahre bis 1929. In Holzerode wurde die SPD bis 1933 ebenfalls immer stärkste Partei, konnte allerdings erst ab 1924 bis 1933 mit dem Landwirt Karl Vollbrecht auch den Bürgermeister stellen; dieser war bis 1933 zugleich der gewählte SPD-Kreistagsabgeordneter der Region.